Dream, believe, do, repeat

Wie man urbanes Niemandsland zum Leben erweckt und warum man grüne Inseln an den Gleisen baut und damit Orte der Begegnung schafft.

Von Luftschlössern zu realen Weihnachtswelten

Als Katja zum ersten Mal nach Zürich kam, war sie begeistert von der Schönheit der Stadt. Ursprünglich nur als Zwischenstopp geplant, hat Zürich sie nicht mehr losgelassen und so wurde es zu ihrer Heimat. Ihrer persönlichen Suche nach Relevanz ist es zu verdanken, dass Katja heute nicht mehr Unternehmen fusioniert, sondern Menschen zusammenbringt, indem sie besondere Orte in Zürich kreiert. Was sie nie für machbar gehalten hatte, wurde zur Realität.

Zu praktisch jedem Kreis in Zürich kann Katja etwas erzählen. Kein Wunder, schliesslich ist sie hier täglich unterwegs. Sie kurvt mit ihrem blauen Rennvelo durch die Stadt, schnappt sich das ebenso blaue Tram oder transportiert mit einem Hertz Van Material zur nächsten Event Location. Katja kennt die Stadt in- und auswendig und zeigt uns sowohl kleine Bars als auch urbanes Brachland. Auf jeden Fall genug Inspiration, die Stadt an der Limmat an einem Weekend zu entdecken.

Katja Weber, 40, führt gemeinsam mit ihren Geschäftspartnern das Sommerrestaurant «Frau Gerolds Garten», organisiert Food-Festivals, lädt jährlich zum Zürcher Weihnachtsdorf auf dem Sechseläutenplatz ein und stampft in der Stadt Zürich immer wieder neue Projekte aus dem Boden.
Vom Sechseläuten- bis zum Hardturmplatz ist Katja stets unterwegs in Zürich, ihre Ziele im Blick: Ein nächstes Meeting für ihr anstehendes Projekt oder ein kühles Bad in der Seebadi Enge, um Energie zu tanken.

Let’s do it

«Machen kommt von machen», beschreibt Katja ihr Credo. In Deutschland in der Nähe von Saarbrücken aufgewachsen, verpasste sie schon als junge Frau keine Chance, etwas aus dem Boden zu stampfen. Die Geburtsstunde einer Vielzahl von Projekten war ein kultiger Nachtmarkt, den sie zusammen mit einer Freundin aufzog, damals noch nicht wissend, dass dies dereinst ihr Main-Business werden sollte. Dem Reiz am Unternehmertum verfallen, studierte sie Wirtschaft. Finanziell auf einen Job angewiesen, hatte dies sogar positive Nebenwirkungen. Statt trockene Theorie zu büffeln, arbeitete sie als Werkstudentin bei der damals frisch an der Börse gelisteten Softwarefirma IDS Scheer AG und lernte in der Praxis, wie Firmenbewertungen und -übernahmen erfolgreich vonstatten gehen. Als 20-Jährige erlebte sie dieses innovative und internationale Umfeld als aufregend. Die Motivation für den Job beschreibt Katja wie folgt: «Ich hatte Zahlen schon immer gerne. Auf sie ist Verlass.»

Die Finanzwelt hatte es ihr angetan. Für die IDS Scheer AG war sie im Bereich des Investment-Bankings tätig und studierte in den Folgejahren in Australien und Südafrika weiter. Zurück in Deutschland, wechselte sie schliesslich auf die Beratungsseite. Dies ebnete ihr auch den Weg in die Schweiz, und sie fand aufgrund einer internen Bewerbung um eine Stelle in Zürich ihr neues Zuhause. Je mehr sich Katja mit Zahlen und Bilanzen auseinandersetzte, desto mehr interessierte sie sich für einen durchaus komplexeren Organismus: die Firma selbst. Sich bei Firmenübernahmen in die Ideen und die Firmenstrukturen hineinzudenken, das faszinierte sie. Insbesondere kleinere Firmen, die stark inhabergetrieben sind, taten es ihr an, und so war der Austausch mit diesen schlauen und innovativen Köpfen für Katja sehr wertvoll.

Um die immer stärker aufkommende Frage nach Bedeutsamkeit zu beantworten, suchte Katja nach einer greifbaren und nachhaltigen Veränderung. Ein Sabbatical in Indien veränderte ihre Sicht. Nachdem sie bei einem Hilfsprojekt mitgewirkt hatte, welches in seinem Mikrokosmos funktionierte, war Katja ernüchtert über ihren geringen Einfluss im ganzen System. Doch hielt sie nach ihrer Rückkehr aus Indien an einer ihrer Erkenntnisse fest: Im eigenen Radius etwas zu verändern, in sich geruht, nicht gleich die ganze Welt retten zu müssen. Mit diesem pragmatischeren Ansatz ging es in eine neue Phase des Machens – ganz praktisch und regional in Zürich. Ihr erstes Projekt, das sie gemeinsam mit einer Freundin startete, war der Montagsmarkt in der Badi-Bar Rimini. Ein Marktplatz für Design, der bis heute an verschiedenen Locations in Zürich stattfindet. Aus dem Wunsch heraus, Orte des Austauschs und Daseins zu schaffen, entstanden schliesslich auch die vielen weiteren Projekte zusammen mit ihren Geschäftspartnern: vom Frau Gerolds Garten zu den immer grösser werdenden Streetfood-Festivals bis hin zu den lange ersehnten Weihnachtsevents.

Wie soll man ein Kreativbüro erkennen, wenn nicht an den Gadgets? Stolz wacht der Elch über die Arbeit der kreativen Köpfe.
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Zwischen Wunsch und Realität liegt viel Raum

Sei es an einem sommerlichen Samstagabend mit Freunden in Frau Gerolds Garten neben den Gleisen der Hardbrücke oder auf dem Eisfeld im Weihnachtsdorf

auf dem Sechseläutenplatz: Die Stadt Zürich kann man im Sommer wie auch im Winter geniessen. Dass diese Orte existieren, ist nicht so selbstverständlich, wie es scheint. In diesen Projekten steckt viel Herzblut von Katja und ihren Partnern, welche in den letzten Jahren gemeinsam so einige Umwege gegangen sind.

Katja war völlig perplex, als sie 2006 ihren ersten Winter in Zürich erlebte und nirgends einen klassischen Weihnachtsmarkt fand. «Diese wunderschöne Stadt, die im Sommer so viel bietet, hat keinen Weihnachtsmarkt?» Sie wollte dies nicht wahrhaben. In ihrer deutschen Heimat waren Weihnachtsmärkte schon immer Tradition und fester Bestandteil desWinters – der wohl beste Ort, um in dieser Jahreszeit Freunde zu treffen. Und so war der Wunsch geboren: Sie wollte für Zürich einen Ort der Begegnung in der kalten Jahreszeit schaffen.

Als Katja zusammen mit einem Geschäftspartner die Idee des Weihnachtsdorfes das erste Mal der Stadt Zürich präsentierte, kam postwendend die Absage. «Ich fühlte mich, als hätte ich einen Vorschlaghammer ins Gesicht bekommen», beschreibt sie rückblickend das Meeting. Doch die Idee liess sie nicht los und so suchte sie nach anderen Orten und Formen: Als «Indoor Weihnachten» in Clubs fanden die ersten Weihnachtsmärkte statt: Im Mascotte, dann im Plaza und schliesslich in der Maag Halle. Katja erinnert sich an die wunderbar-kitschige, gemütliche Stimmung, welche die Besucher beim Betreten der Maag Halle empfing, und an den typischen Geruch von Zimt, Guetzli, Orangen und Weihnachten, der in der Luft hing. Nicht nur die Besucher waren begeistert, für die kleinen Aussteller war dieser Markt von grosser Bedeutung. Denn für Designer und Concept Stores waren genau diese Orte prädestiniert dafür, um ihre Künste und Produkte an Herr und Frau Zürcher zu bringen – im realen Leben und weit weg von der digitalen Konkurrenz.

«Nichts verbindet die Menschen so sehr wie gemeinsames Essen. Und nichts macht sie so ebenbürtig wie gemeinsames Kochen. Was für ein wunderbarer Weg der Völkerverständigung.» Aus dieser Grundhaltung heraus schuf Katja zusammen mit ihren Partnern die ersten Street Food Festivals, die sich seit 2014 zu temporären kulinarischen Hotspots Zürichs entwickelten. Die «Foodies», wie Katja die verschiedenen Anbieter von köstlichen Gerichten nennt, waren anfangs skeptisch. Durch viel Überzeugungsarbeit liessen sich 30 Aussteller an Bord holen. Nach dem Erfolg der Erstausgabe lief es fortan ganz anders. Inspiriert vom Pioniergeist der ersten 30 Foodies waren da plötzlich 70 und schliesslich 120 Aussteller auf dem Platz. Immer wieder auf der Suche nach neuen Orten, wurde die Kunsteisbahn im Dolder und schliesslich die Hardturm-Brache das neue Zuhause für die Food-Festivals. Wenn Katja heute auf diesem sonst leeren Platz steht und beschreibt, wo wer kocht und wie das Treiben vor sich geht, kann man die Faszination förmlich spüren, mit der sie aus urbanem Brachland einen Ort schafft, an dem Menschen aus aller Welt zusammenkommen, um gemeinsam zu kochen und das Leben zu teilen. So unterschiedlich die Gerichte auch sind – vom Schweizer Raclette zu den African Samosas bis hin zu den tibetischen Momos – hier zählt das Miteinander. Und so pilgern Jahr für Jahr Tausende Gäste mit Heisshunger auf den Platz.

Ende 2014 kam die langersehnte Chance. Mit dem nagelneuen Sechseläutenplatz lud die Stadt Zürich erstmals zu einem Wettbewerb für einen grossen Zürcher Weihnachtsmarkt ein. «Wir waren so was von ready!», meint Katja lachend und schaut auf all das Know-how zurück, welches sich ihr Team über die Jahre erarbeitet hatte. Die hohenAnforderungen an das Dossier waren für sie so ein Leichtes. Innert kurzer Zeit stand das Dossier mit über 100 Seiten bereit, abgerundet mit vielen Fotos ihrer bisherigen Events. Und die Stadt war mutig genug, diesem siebenköpfigen Team die Chance zu geben, die Challenge zu meistern: Den mit 16’000 m2 zweitgrössten innerstädtischen Platz mitten im kalten Winter mit einem Weihnachtsmarkt zu bevölkern. «Ach du grosser Gott!», beschreibt Katja ihre Reaktion auf die Herausforderung rückblickend. Nach einem anspruchsvollen Jahr mit vielen schlaflosen Nächten wurde im Dezember 2015 mit einem Glühwein auf das gemütliche Weihnachtsdorf mit über 100 Ständen vor der spektakulären Kulisse des Opernhauses angestossen. Völlig erschöpft, aber emotional auf einem Hoch, hatte die Zürcher Bande ihr Traumprojekt auf den Boden gebracht.

Seit nun gut fünf Jahren steht Katja jeden November auf dem Platz, wenn in den frühen Morgenstunden der grosse Weihnachtsbaum angeliefert wird und malt sich aus, wie in weniger als zwei Wochen das Weihnachtsdorf erwacht. Mit ihren Freunden und ihren Eltern schlendert auch sie dann mit Glühwein in der Hand durchs Dorf und ist dankbardafür, solche Orte schaffen zu dürfen.

Katja und ihrem Team verdanken wir den Glühweinduft und die Eislaufbahn des Weihnachtsmarktes auf dem Sechseläutenplatz.

Die Eventzentrale

Ein riesiger Elchkopf und verschiedenste Weihnachtsfigürchen zieren das Office im Zürcher Kreis 5, wo das Team die nächsten Ideen für die Events spinnt. Je nach Projekt setzen sich Partner, Teams und Mitarbeiter anders zusammen – Katja mittendrin und als Initiantin ihrer gemeinsamen Projekte ab der ersten Stunde an vorderster Front in der Entwicklung und Planung der Erstausgabe der Events mit dabei. «Jeder von uns hat eine andere Rolle.» Mit ihrem Grundvertrauen in diese Konstellation bleibt sie hartnäckig und verfolgt ihre Ziele konsequent.

Dass vor Neueröffnungen auch einiges ungeplant verläuft, davon erzählt Katja, während sie uns über die Winterwunderwelt aus Illumination, Illusion, Musik und Kulinarik im Landesmuseum berichtet: dem Illuminarium. Für die einzigartige Lichtstimmung sollten Lichtinstallationen aus Apulien, Süditalien, zum Einsatz kommen: Grosse Gebilde, mit LEDs bestückt, die sehr bunt leuchten. Von der Lichtershow bis zu den Foodständen stand am Vorabend der Eröffnung alles bereit, nur etwas fehlte: Die Lichtinstallationen waren am Zoll hängengeblieben und erst gerade eingetroffen. Das Team genoss gerade die stimmungsvolle und winterliche Atmosphäre im Innenhof des Landesmuseums, als es plötzlich taghell wurde. Grund: Die Lichtinstallationen wurden zum ersten Mal mit Strom versorgt. Alle schauten sich schockiert an und hatten den gleichen Gedanken: So kann die Eröffnung morgen nicht stattfinden, es sei denn, alle Besucher kämen mit einer Sonnenbrille.

Nach einigen unverständlichen Telefonaten zum Hersteller in Italien war klar, dass sie auf sich alleine gestellt sein würden. Im Wissen darum, dass sie nichts mehr ausrichten konnten, war ihr Stromer die letzte Hoffnung. Dies war eine der vielbesagten schlaflosen Nächte gewesen – von allen die längste. Am nächsten Morgen herrschte Klarheit: Dem «begnadeten» Stromer, welcher bis heute als Held gefeiert wird, gelang es in einer langen Nachtschicht, die Lichtstärke zu reduzieren. Auch wenn Katja bis heute nicht weiss, was der Stromer genau gemacht hatte, fügten sich die Lichtinstallationen nun in die weihnachtliche Winterlandschaft ein. Die Eröffnung konnte planmässig stattfinden.

Kraft für ihr weiteres Tun geben ihr die vielen Veranstaltungen, die sie bereits durchführen konnte. Abende mit Freunden sind für sie zusätzliche Kraftmomente, die Raum für Gespräche geben und Reflexion von Ideen ermöglichen. Auch wenn das nicht gerade aktuelle Probleme löst, geben ihr der gemeinsame Austausch und das Zusammensein viel. Ein Blick vom Bellevue über den Zürichsee auf die Berge lasse sie immer wieder kurz innehalten, ein kühles Bad in der Seebadi Enge den Kopf abschalten. Und wenn sie einen Abend mit Freunden in der Rimini-Bar ausklingen lassen dürfe, könne die sonst so geschäftige Katja mal entspannen. Und so hat sie weiterhin zum Ziel, Menschen zusammenzubringen, auch wenn es zukünftig vielleicht neue Formen braucht.

Unterwegs auf der Schanzengrabenpromenade, um den Abend mit Freunden in der Rimini-Bar von Zürich ausklingen zu lassen.

Zukunftsmusik

«Nur, wenn man miteinander Luftschlösser baut, kann später daraus ein Fundament entstehen und eine Idee Realität werden. Das Weihnachtsdorf war genau so ein Luftschloss. Träumen ist eine wichtige Grundlage, dennoch muss man irgendwann ins Machen kommen, auch auf die Gefahr hin, dass es nicht funktioniert. Von 100 Ideen kannst du oft nureine umsetzen», fasst Katja ihre Passion und ihren Werdegang zusammen.

Inspiration findet sie auf ihren Reisen. Die Idee mit den Lichtinstallationen war während eines Urlaubs in Süditalien entstanden. Auch andere Details der Projekte weisen auf die Inspirationsquelle hin: Die Container in Frau Gerolds Garten finden ihren Ursprung in Panama, wo aufgrund der breiten Verfügbarkeit viele Gebäude aus Containern gebaut werden. Inspiration kann durchaus auch regional sein. Zürich bietet mit dem vielfältigen Kulturangebot für jemanden wie Katja die beste Umgebung dazu. Aktuell inspirieren sie Organisationen, Stiftungen, Start-ups, Labs und Aktivierungsgruppierungen, die nach Lösungen für die Zukunftsfähigkeit unserer Welt suchen. Sich gegenseitig eine Inspirationsquelle sein – von dieser Arbeitsweise ist Katja begeistert. Sie erzählt uns euphorisch von Urban Sourcing, bei welchem das Müllmaterial der Stadt für dieEntwicklung von Baustoff genutzt wird.

Die Leichtigkeit, welche die bisherigen Projekte mit sich bringen, möchte sie für eine Plattform für nachhaltige Themen adaptieren. In einem interdisziplinären Team arbeitet sie an Formen, wie innovative Ideen lustvoll entwickelt und an die Bevölkerung gebracht werden. Erste Projekte stehen: Im letzten Spätsommer hat Frau Gerolds Garten die «NEA Summer School» gehostet, wo junge Künstler und Umweltwissenschaftler gemeinsam Projekte zum Thema Zukunftsfähigkeit einwickelten. Katja bleibt am Puls der Zeit. Mit dem Ziel, die Zukunft spür- und erlebbar zu machen und die Stadtzürcher zu inspirieren und zu motivieren, im Alltag ein zukunftsfähiges Zürich mitzugestalten. So findet vielleicht schon bald das erste Nachhaltigkeitsfestival statt.